17. Juli 1935 – 12. Dezember 2024
Am 12. Dezember 2024 ist Marie Manthey in ihrer Heimatstadt Minneapolis verstorben. Mit ihrem Tod verliert die Welt eine herausragende Persönlichkeit, die wie kaum eine andere die Pflege und das Gesundheitswesen revolutioniert und geprägt hat. Sie hinterlässt ein Vermächtnis, das in den Herzen und in der Arbeit unzähliger Pflegefachkräfte auf der ganzen Welt weiterlebt.
Marie Manthey wurde am 17. Juli 1935 in Chicago geboren. Schon früh zeichnete sich ihre Leidenschaft für die Pflege und ihr tiefes Verständnis für die Bedürfnisse von Menschen aus. Nach ihrer Pflegeausbildung am St. Elizabeth Hospital ging sie an die Universität von Minneapolis, um dort ihren Bachelor und Master in Pflegemanagement zu erwerben. Sie begann ihre Karriere in einer Zeit, in der die Pflege oft von starren Hierarchien und einem Mangel an individueller Patientenbetreuung geprägt war. Doch Marie sah das Potenzial, diese Strukturen grundlegend zu verändern. Als erste Krankenschwester der Vereinigten Staaten von Amerika machte sie sich selbstständig mit einem Pflegeberatungsbüro. Sie flog durch das ganze Land, um mit Führungskräften der Pflege zu arbeiten und entwickelte unzählige Konzepte, um die Patientenversorgung zu verbessern.
Ihre bedeutendste Leistung war die Entwicklung und Verbreitung des Primary-Nursing-Modells, eines innovativen Konzepts, das die Pflege revolutionierte. Primary Nursing stellt die Beziehung zwischen Pflegekraft und Patient in den Mittelpunkt und überträgt einer Pflegekraft die primäre Verantwortung für einen bestimmten Patienten. Dieses Modell schaffte es, nicht nur die Qualität der Pflege zu verbessern, sondern auch die Arbeitszufriedenheit der Pflegekräfte zu steigern. Durch diese enge, persönliche Betreuung wurden Vertrauen, Kontinuität und eine echte Menschlichkeit in der Pflege gefördert. Marie legte Wert darauf zu betonen, dass nicht sie Primary Nursing erfunden habe, sondern ihr Pflegeteam, das sie damals leitete. Das chirurgische Team war damals unzufrieden mit der Funktionspflege, und Marie ermöglichte es ihnen, eigene Lösungen zu finden. „Alles, was ich tat, war, dem Team zu erlauben, andere Arbeitsformen auszuprobieren“, sollte Marie Manthey später sagen. Dennoch war diese Erlaubnis alles andere als leicht. In den 60er Jahren war das Einhalten von Regeln und Strukturen ein zentraler Bestandteil der pflegerischen Tätigkeit und nicht das eigenständige Treffen von Entscheidungen.
Eine von Maries einzigartigen Ideen war die Einführung von Salons, inspiriert von den französischen Salons des 19. Jahrhunderts. Hier kamen Menschen zusammen in einer Art Wohnzimmer des Hauses, in dem geistreiche Gespräche geführt wurden. Einmal im Monat lud Marie alle, die Lust hatten, über Pflege zu sprechen, in ihr Wohnzimmer ein. So kam regelmäßig eine bunte Mischung von Menschen zusammen, wie Pflegefachkräfte, Studierende, Führungskräfte im Gesundheitswesen oder Ärzt*innen. Diese Tradition hielt sie ihr Leben lang bei und organisierte noch mit 89 Jahren einen Salon.
Der Ablauf war immer gleich: Marie öffnete das Buffet, und jede*r konnte sich aus der Küche bedienen und im Wohnzimmer beim Smalltalk verzehren. Wenn alle gegessen hatten, fragte Marie: „Was bewegt Dich, wenn Du an Pflege denkst?“ Reihum äußerten sich nun alle zu dieser Frage. Oft waren zwischen 20-30 Personen anwesend, von denen einige auf dem Teppich saßen. So konnte diese Runde etwa eine Stunde dauern. Danach gab es Nachtisch. Und wieder bedienten sich alle aus dem Angebot, welches in der Küche aufgebaut war. Mit dem Nachtisch ging es in die nächste Runde. Jetzt wurde überlegt, auf welches der zuvor erwähnten Themen die gesamte Gruppe näher eingehen wollte. Zu diesem Thema konnte wieder jede*r mitdiskutieren. Das konnte ein Buch sein, das jemand begeistert gelesen hatte, eine Erfahrung aus dem beruflichen Alltag oder eine Frage, die jemand mitgebracht hatte. Nach einer weiteren Stunde des intensiven Austauschs löste sich die Gruppe auf. Ein paar halfen mit beim Aufräumen.
Marie Manthey war nicht nur eine visionäre Denkerin, sondern auch eine unermüdliche Praktikerin und Verfechterin ihrer Ideen. Mit Leidenschaft und Beharrlichkeit arbeitete sie daran, das Primary-Nursing-Modell in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen weltweit zu implementieren. Ihre bahnbrechende Publikation „The Practice of Primary Nursing“ inspirierte Generationen von Pflegekräften und gilt bis heute als Standardwerk. Doch Marie Manthey war weit mehr als nur eine Expertin für Pflege. Sie war eine Mentorin, eine Führungspersönlichkeit und eine Quelle der Inspiration für viele. Ihre Arbeit war stets von einem tiefen Mitgefühl und Respekt für die Menschen geprägt – sowohl für die Patient*innen, die sie betreute, als auch für die Pflegekräfte, die sie unterrichtete und führte. Sie war überzeugt, dass Pflege nicht nur eine Aufgabe, sondern eine Berufung ist, und sie erinnerte alle, die mit ihr arbeiteten, daran, dass echte Pflege eine Kunst ist, die Herz und Verstand gleichermaßen fordert.
Ihr Wirken ging weit über das Pflegewesen hinaus. Marie setzte sich zeitlebens für soziale Gerechtigkeit und die Stärkung von Frauen in der Arbeitswelt ein. Sie ermutigte Pflegefachkräfte, ihre Stimme zu erheben und aktiv an Entscheidungsprozessen in Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen teilzunehmen. Sie war eine unerschütterliche Verfechterin für die Wertschätzung und Anerkennung der Pflege als unverzichtbaren Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Ihre unvergleichliche Energie, ihr Charisma und ihre Entschlossenheit brachten ihr nicht nur Bewunderung, sondern auch zahlreiche Auszeichnungen ein. Unter anderem wurde sie in die American Academy of Nursing aufgenommen und erhielt zahlreiche Ehrendoktorwürden sowie Preise für ihre Verdienste im Gesundheitswesen. Doch trotz all dieser Ehrungen blieb Marie Manthey stets bescheiden. Sie betonte immer, dass ihr Erfolg den unzähligen Pflegekräften zu verdanken sei, die ihre Vision mitgetragen und in die Praxis umgesetzt haben.
Mit der Entwicklung des Changemanagement-Konzepts Relationship-Based-Care (RBC) setzte sie neue Maßstäbe. Es handelt sich um ein interprofessionelles Training aller Mitarbeitenden einer Gesundheitseinrichtung und schloss Parkwächter und Verwaltungsmitarbeiter genauso ein wie Chefärzte und Pflegefachkräfte. Den Einrichtungen werden Programme angeboten, die sich auf sechs Dimensionen verteilen und Organisationen helfen, die Patientenversorgung zu verbessern, indem die Beziehung aller Mitarbeitenden untereinander in den Mittelpunkt gerückt wird. Der Change-Prozess beginnt mit dem Training der Führungskräfte. Danach können die Organisationen selbst entscheiden, mit welcher Dimension sie weiterarbeiten wollen. Dabei müssen nicht alle Dimensionen „bearbeitet“ werden, denn viele Einrichtungen beginnen nicht bei null, sondern haben zuvor bereits in Veränderungen investiert. Dabei geht es nicht um starren Aktionismus, sondern um gezielte Weiterentwicklung, die stets den Menschen im Fokus hat.
In den letzten Jahren ihres Lebens widmete sie sich vermehrt der Reflexion und Weitergabe ihrer Erfahrungen. Sie veröffentlichte Artikel, hielt Vorträge und war eine gefragte Beraterin. Marie war bis zuletzt von einem unerschütterlichen Optimismus geprägt und glaubte fest daran, dass die Pflege auch in schwierigen Zeiten eine Kraft des Guten bleiben kann. Ihre Gespräche mit jungen Pflegekräften und ihre Bereitschaft, stets zuzuhören, machten sie zu einer vertrauenswürdigen und beliebten Ratgeberin. Ihr Tod hinterlässt eine große Lücke, aber auch ein strahlendes Vermächtnis. Ihre Vision von einer menschlicheren und persönlicheren Pflege wird weiterleben. Pflegekräfte auf der ganzen Welt werden weiterhin von ihren Ideen profitieren, und ihre unermüdliche Arbeit wird noch lange nachwirken.






